"Auf der Rückseite des Friedhofs befand sich das Paramount Studio, dessen
Eingangsbereich ein beliebtes Motiv in Filmen war. Sie wusste selber nicht
richtig, was sie eigentlich hier wollte. Der Sicherheitsdienst am Tor checkte
die Autos so gründlich, als gelte es einen Hochsicherheitstrakt zu schützen.
Jeder Fahrzeug-Unterboden wurde mit Teleskopspiegeln abgesucht und jeder
Kofferraum musste geöffnet werden. Eine Weile lang sah sie zu, wie teure
Karossen herein- und hinausfuhren. In der untergehenden Sonne
leuchteten die
Palmenblätter grün, die Bäume waren zu kubischen Formen zurechtgestutzt. Im
Hintergrund ragte eine große Leinwand auf, die eine Wolkenlandschaft zeigte. Plötzlich
stand Joe Campton wie aus dem Nichts vor ihr.
„Hallo Anna“, begrüßte Joe sie ehrlich erfreut. „Schön, Sie mal wieder in
diesem furchtbaren Land zu sehen! Was führt sie her?“
„Die Sonne!“
„Ja, das kann ich verstehen. Hängt der Himmel über Berlin so oft
voller Regenwolken?“, fragte er lächelnd.
„Verglichen mit der Stadt der Engel ja“, gab Anna prompt zurück.
Joe Campton lächelte wohlwollend, als sehe er seine Einschätzung ihrer
Person bestätigt.[...]
„Hi Joe“, rief ein drahtiger Mann mit Vollbart herüber, der nachlässig in
Richtung Studio schlurfte.
„Hi Mick!“, rief Campton zurück. „Sag Flox, dass ich gleich komme!“
Der andere winkte gleichgültig, ohne herüberzusehen. Verblüfft sah Anna
ihm nach. „Jetzt sagen Sie bitte nicht, dass das Mick Norfolk war!“, sagte sie.
„Klar, das war er. Kaum wiederzuerkennen, was?“ Campton lachte.
„Steinreich, Schauspieler der A-Liga und läuft herum wie ein geistig verwirrter
Penner. Das ist in den letzten Jahren ziemlich in hier in Hollywood.“
„Jaja, ich weiß. Aber bei Mick verblüfft es mich besonders. Der war auch
mal ganz anders drauf. Die Scheidung scheint ihn ja mächtig mitzunehmen.“
„Er wird’s überleben. Hat sich im Marmont eingenistet und jede
Nacht ein anderes Mädchen im Bett – hab ich gehört.“
`Und mich offenbar nicht wiedererkannt´, dachte Anna. Dann wendete sie
sich Joe wieder zu. „Hm.“ Mehr wusste sie dazu nicht zu sagen.
„Wie geht es David? Donald sagte, er habe in den letzten zwei Jahren
gelitten wie ein Hund…“ Er sah sie ernst an.
Irritiert erwiderte sie seinen
Blick. „Wie kommt er denn darauf?“
„Nun ja, die beiden arbeiten eng zusammen und Donald mag ein Aas sein,
aber dumm ist er nicht.“
In Annas Kopf sprangen die Gedanken wild hin und her. Natürlich konnte
sie sich gut vorstellen, dass Donald einiges mitbekam, aber wie kam er darauf,
dass David „wie ein Hund litt“? Wieso sollte er das? Und wenn ja, wieso wusste
sie nichts davon?! Die Fotos, die sie in den Zeitschriften von ihm gesehen
hatte, hinterließen einen anderen Eindruck. Er hatte ihr gegenüber auch nie leidend
gewirkt. Einzig seine reglosen Blicke gegen die Wand bei der Trennung schienen
nicht ins Bild zu passen.
„Was machen Sie denn für Sachen?“, fragte Joe mit einem vorwurfsvollen
Unterton.
„Ich? Wieso ich? Bin ich mit der Manover Händchen haltend über den roten
Teppich gelaufen oder er?“ Sie war wütend und verwirrt. Wovon redete Joe denn
da?
„Ach Mädchen“, entgegnete der fast mitleidig, „durchschauen Sie diesen
Zirkus hier denn immer noch nicht?“
aus: "Weißgold-Flügel"
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