Leseprobe zu "Wind aus Südwest - Vergeltung"


"Sein Unterkiefer bereitete ihm noch immer Probleme. Vorsichtig bewegte er ihn hin und her, während er durch das nächtliche Köln cruiste. Die Lichter der Geschäfte und Clubs am Hohenzollernring brachen sich
in den Regentropfen auf der Windschutzscheibe und das monotone Geräusch des Motors besänftigte ihn ebenso wie die majestätische Musik, die er eingelegt hatte. Nahezu meditativ glitt er durch die Straßen wie ein Gondoliere über die Kanäle in Venedig, denn es bedurfte keines Nachdenkens. Bremsen, Schalten und Beschleunigen funktionierte intuitiv. Eine absurde Vorstellung angesichts der Mission, in der er unterwegs war. In seiner Jackentasche auf dem Beifahrersitz steckte die Pistole, die er in der Wohnung gefunden hatte. Er war im Umgang mit Schusswaffen nicht geübt, in der Verbindung wurde ausschließlich mit Hiebwaffen gekämpft. Aber der Wolf hatte ihn hin und wieder mit zum Training am Schießstand genommen, sodass er nicht gänzlich unerfahren war. Er hatte gelernt, wie er entsichern, zielen und den Rückstoß auffangen musste.
Es war ihm bewusst, dass nur der blanke Zufall ihn auf diese Weise mit seinem Opfer zusammenführen konnte. Aber was blieb ihm anderes übrig? Ihm Zuhause aufzulauern war auch nicht aussichtsreicher. Wer wusste, ob er sich dort überhaupt aufhielt? Es war sogar anzunehmen, dass er das nicht tat, schließlich musste er damit rechnen, dass jemand aus der Verbindung ihm einen Besuch abstatten würde. Er seufzte und seine Gedanken gingen auf Wanderschaft.
Nach einer Zeit, die ihm endlos vorkam, hielt er plötzlich inne und trat auf die Bremse. Manchmal musste man einfach unverschämtes Glück haben. Eine der beiden Gestalten, die vom Stadtgarten aus die Venloer Straße stadtauswärts gingen, war unverkennbar sein Opfer. Er triumphierte innerlich. Natürlich würde er ihn nicht hier auf offener Straße stellen, umgeben von den vielen Nachtschwärmern, die unterwegs ins Belgische Viertel waren. Obwohl es einen ganz eigenen, filmreifen Reiz gehabt hätte, ihn aus dem fahrenden Auto heraus zu erschießen und dann mit quietschenden Reifen davonzurasen. Doch er war kein guter Schütze und die Gefahr, dass sich irgendjemand sein Kennzeichen merkte, zu groß. Und er war eben auch nicht Teil eines Fernsehkrimis, wo so etwas funktionierte. Also folgte er den beiden unauffällig.
Die zwei Gestalten unterhielten sich so angeregt, dass sie von ihrer Umgebung nichts mitbekamen. Unter der Unterführung des Westbahnhofs war es derart dunkel, dass er sie im Getümmel fast aus den Augen verlor. Einen Moment lang befürchtete er, sie würden an der Kreuzung nach rechts abbiegen, weil sie ihren Wagen dort geparkt hatten. Er durfte nicht gegen die Einbahn fahren und das Auto abstellen konnte er hier auf diesem Abschnitt der Venloer Straße erst recht nicht. Aber zu seiner Erleichterung spazierten die beiden weiter geradeaus am Hans-Böckler-Platz vorbei. Mit grimmig-entschlossenem Gesicht folgte er seinem Zielobjekt samt Begleiter in Richtung der dunklen Universitätswiese, wo außer ihnen kein Mensch mehr unterwegs war."
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