Sünden der Väter - Leseprobe zu "Wind aus Südwest"

Okahandja, Namibia 2001
                         
Das Ahnenfeuer prasselte unter einem wolkenlosen Himmel und Funken stoben in die blauschwarze Nacht. In der Dunkelheit hörte man Tiere durch das Savannengras streifen und zirpende Geräusche. Die Ondangere, die älteste Nachfahrin des Häuptlings, die noch immer
symbolisch das heilige Feuer hütete, schürte die Glut mit dem Feuerstab. Dabei unterhielt sie sich abwechselnd murmelnd mit ihren Vorfahren und mit Magano, die ihre Nachfolge antreten sollte. Carina, die zehnjährige Tochter des deutschen Entwicklungshelfers Martin Kamerande, trat zu ihnen.
„Setz dich“, sagte die Ondangere, ohne den Blick von den Flammen zu lösen.
Carina tat, wie ihr geheißen. Sie mochte die Geschichten, die die Ondangere ihr erzählte. Die weise Frau wusste viel von der Welt. Sie war vertraut mit den Bräuchen der Herero vor dem Krieg gegen die Deutschmänner, als ihr Volk noch in Pontoks wohnte. Sie wusste von der Schlacht am Waterberg, vom Gefangenenlager hier in Okahandja und vom massenhaften Sterben ihrer Ahnen. Schwerfällig ließ sie nun ihren üppigen Leib auf einem Stein nieder und begann, Carina die Geschichte des Gürtels von Chief Gabriel zu erzählen.
„Nur würdige Männer durften ihn tragen. Er wurde von Generation zu Generation von einem Chief an den anderen weitergeben. Solange, bis Chief Gabriel von den Deutsch-männern hingerichtet wurde. Da haben sie ihm den Gürtel abgenommen und behalten, obwohl er ein heiliges Objekt der Herero ist.“
„Wie sah er aus?“, wollte das Mädchen wissen, als sie geendet hatte.
„Er ist handbreit und aus kostbaren Rindsleder geflochten“, erwiderte die Ondangere. „Darin sind bunte Perlen eingeknotet und vorne eine Schnalle aus Rinderhorn.“ Sie blickte Carina ins Gesicht. „Du erkennst ihn sofort, wenn du ihn siehst. So etwas gibt es nur einmal auf der Welt. Und du wirst seine magische Kraft spüren, denn er ist mit der Asche des Ahnenfeuers eingerieben.“
„Wer trägt ihn jetzt?“
Die Ondangere sah ins Feuer. „Er ist bei den Nachfahren der Soldaten in Deutschland.“
Carinas Augen wurden rund. „Wie ist er dorthin gekommen?“
„Die Krieger haben ihn gestohlen, genauso wie unser Land und unser Vieh.“
Betroffen sah das Mädchen sie an und schämte sich für ihre Vorfahren. Sie stellte sich Soldaten in Tarnanzügen vor, die dem Hererohäuptling den Gürtel vom Leib rissen und bei Nacht und Nebel auf einem Dampfschiff davonfuhren. Unter den Helmen hatten sie ihre Gesichter mit Ruß geschwärzt und ihre Augen blickten finster.
„Man muss zur Quelle des Übels gehen und die Geister dort besänftigen, um das Unheil zu beenden“, sagte die Ondangere, als wollte sie genau das bezwecken: Dass Carina als eine, die die Sprache der Herero beherrschte und ihre Sitten kannte, zum Ursprungsort fuhr, um die Dämonen da zu beschwichtigen.
Magano, die schweigend bei ihnen gesessen hatte, warf ihrer Tante auf RuKwangali vor: „Du richtest das Mädchen ab wie einen Kindersoldaten ohne Waffe.“
Diese machte erst eine wegwerfende Geste und erwiderte dann mit erhobenem Zeigefinger: „Die Sache ist wichtig. Darüber streite ich mich nicht mit dir! Carina ist etwas Besonderes, eine Wanderin zwischen den Welten. Sie schafft das.“
Zweifelnd und missbilligend schüttelte Magano den Kopf. Sie hatte das Mädchen ins Herz geschlossen und wollte nicht, dass es zu irgendetwas angestachelt wurde, was nicht seinem eigenen Weg entsprach.
„Irgendwann fahre ich nach Deutschland und bringe euch den Gürtel zurück“, sagte Carina und in ihrem Gesicht tanzte der Widerschein des Ahnenfeuers. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es mit den Soldaten in den Tarnanzügen aufnehmen sollte, aber ihr würde schon etwas einfallen.
Magano hob an, ihr zu widersprechen, doch die Ondangere hob ihre Hand. „Ja, das wirst du“, erklärte sie. „Ich zähle auf dich.“
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1 Kommentar:

  1. Spannend. Authentisch. Nachdenklich machend. Hervorragend geschrieben.

    Da ich vorher schon „Abgetaucht im Paradies“ gelesen und für gut befunden hatte, konnte ich es kaum abwarten „Wind aus Südwest“ in den Händen zu halten.

    Die Spannung dieser realistischen Geschichte baut sich zwar zunächst etwas langsam auf, man lernt die Charaktere aber sehr gut kennen und kann sich exzellent in sie hineinfühlen. Es ergibt sich ein tiefer Einblick in die Psyche der Protagonisten. Etwa ab dem zweiten Viertel war ich so in der Story drin, als wäre ich Live dabei. Ab dem Zeitpunkt konnte ich das Buch jedenfalls nicht mehr aus der Hand legen und las es bis zum ergreifenden Ende. Mein erster Gedanke zum Schluss: Das wäre der Stoff für einen ausgezeichneten Film. Der Hintergrund der Geschichte hat mich sehr ergriffen und nachdenklich gemacht. Es ist mehr als nur ein einfacher Roman. Es ging mir unter die Haut!

    Ich freue mich auf die angekündigte Fortsetzung Ende 2018.

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